Payback

Die viel besungene Direktheit der Leute in unserer Gegend kann einem bisweilen auch ein bisschen auf die Nerven gehen. Mir ist zum Beispiel eine aufgesetzte, unehrliche Freundlichkeit an der Supermarktkasse eigentlich lieber als ehrliches Kotzbrockentum. Allerdings gingen einem dann bisweilen auch interessante Rabatte durch die Lappen:

Es ist Freitagnachmittag im dm-Markt und ordentlich was los. Die Schlange an der einzigen geöffneten Kasse zieht sich fast durch den ganzen Laden, der Geduldsfaden der Kunden ist zum Zerreißen gespannt. Heterogene Gruppen lassen sich - das lehrt die Soziologie - am besten durch einen gemeinsamen Feind zusammenschweißen. An diesem Nachmittag fällt mir diese Rolle zu.

Die Kassiererin hat diese ganz spezielle Kassiererinnen-Ausstrahlung, die besagt: Ich arbeite gern im Supermarkt - wenn da nicht die scheiß Kunden wären!

Ich lege meine Waren aufs Band. Sie zieht sie über den Scanner. Wer jemals mitbekommen hat, wie eine schlecht gelaunte Kassiererin einen Deoroller zwölfmal über den Laser zieht und den Code dann doch von Hand eingeben muss, der zweifelt ein wenig an der Behauptung, Technik würde unser Leben vereinfachen.

Als ich bezahlen will, fragt die Weißbekittelte gelangweilt: »Hammse ne Payback-Kaate?«

»Nein.«

»Wollen Sie eine?«

»Nein danke, ist mir zu kompliziert.«

Die Frau reißt die Augen auf: »Ja, wollen Sie denn nicht sparen?«

»Wie meinen?«

»Sparen? Wollen Sie nicht sparen? Sie können hier Prozente machen! Und Prämien gibt's auch! Kaffeemaschine, Reisetasche, Fußball!«

»Haben wir alles schon, danke!«

Die Frau wird ernsthaft sauer: »Sie wollen nicht sparen?«

Da meine Laune auch langsam in den Keller sackt, mache ich eine Entgegnung, die ich im Nachhinein als unglücklich bezeichnen würde. »Herrgott, nein, ich will NICHT sparen, ich habe Kohle bis unters Dach!«

In der Schlange macht sich Unruhe breit. Die Kassiererin erhebt sich und ruft durch den ganzen Laden: »Der Herr hier will nicht sparen! Er hat keine Payback-Karte!«

Die Menge kann es nicht fassen: »Unverschämtheit! Sauerei! Arrogantes Arschloch! Dafür haben wir uns nach 45 den Arsch aufgerissen! Der soll erst mal richtig arbeiten gehen!«

Eine kleine alte Frau mit fahrbarer Einkaufstasche legt mir eine Hand auf den Unterarm: »Die Prämien! Denken Sie doch an die Prämien! Ich habe letzte Woche diesen Fußball gekriegt! Ich wüsste gar nicht, was ich ohne den machen würde!«

»Kommsse getz ma in die Püschen, Graf Koks!«, schreit einer von ganz hinten.

»Watt kauft der eigentlich da?«, will ein anderer wissen. »Kondome mit Goldlack? Nimm die scheiß Karte oder ich probier die Dinger an dir aus!«

»Okay, dann geben Sie mir so eine bescheuerte Payback-Karte!«

»Geht das auch freundlicher?«, will die Kassiererin wissen.

Eigentlich nicht. Zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren greife ich auf einen Trick zurück, mit dem ich früher Frauen reihenweise rumgekriegt habe: Ich lasse mir Tränen in die Augen steigen und bettele förmlich um eine Payback-Karte.

Erst als ich endlich wieder im Auto sitze, fühle ich mich einigermaßen sicher. Beim Verlassen des Parkhauses leuchtet die Warnlampe der Tankanzeige auf. Ich lenke den Wagen zur Aral-Tankstelle an der Wittener Straße. Siebzig Liter passen in den Tank. Das dauert. Ich denke nach. An der Zapfsäule hängt ein Schild, dass man hier nicht telefonieren darf. Habe mal gehört, da könne es zu Verpuffungen kommen. Bin in der Stimmung, das auszuprobieren. Ich nehme die Zapfpistole heraus, beuge mich zum offenen Tank hinunter und rufe zu Hause an, wo sich nur der Anrufbeantworter meldet. Das war jetzt was, wenn die später nur einen Knall hören und dann die Lebensversicherung kassieren können. Ich spreche auf den AB, dass ich gleich zu Hause bin und dass ich die Dinger mit Goldlack tatsächlich bekommen habe.

Die Kassiererin in der Tankstelle begrüßt mich mit einem Lächeln, das augenblicklich in sich zusammenfällt, als sie mein Gesicht mit einem gefaxten Foto vergleicht, dass sie neben der Kasse liegen hat.

»Sie sind doch der Mann, der nicht sparen will! Die vom dm haben schon angerufen! Wissen Sie eigentlich, dass Sie schon für 200 Payback-Punkte plus achtzehn Euro Zuzah-lung diesen unglaublichen Chronographen haben können? Brauchen Sie denn keinen Chronographen? Wissen Sie, wir normalen Menschen, die sehr gerne mal was sparen, wir können ohne Chronographen gar nicht leben! Und was ist mit Aktentasche, Portemonnaie, Regenschirm, Kulturbeutel und Saunahandtuch? Wie bitteschön wollen Sie ohne Saunahandtuch durch den Winter kommen? Ich habe schon gar keine Lust mehr, Ihnen unser leckeres Benzin zu verkaufen!«

Ich mache einen Diener bis zum Knie und schiebe ihr meine Payback-Karte über den Verkaufstresen.

»Na, also, geht doch!«

Ich weiß, dass mein Leben jetzt schöner werden wird. Nie wieder wird es mir an Aktentaschen oder Saunahandtüchern mangeln. Und wenn ich genug Punkte zusammenhabe, muss ich vielleicht nie wieder arbeiten.

 

Radio Heimat
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